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Wir sind unter euch

Über Legalisierung und Widerstand. Von der Gesellschaft für Legalisierung

Am 27. November tritt die Gesellschaft für Legalisierung erstmals öffentlich in Hamburg auf. Verschiedene Gruppen und Netzwerke, die sich seit Wochen und Monaten treffen, setzen sich gemeinsam in Bewegung. In alltäglichen und unscheinbaren Orten werden Geschichten erzählt und Ereignisse erinnert, die das gegenwärtige Migrationsregime hervorbringt. Geschichten über Arbeitsbedingungen, Gesundheitsversorgung, Wohnverhältnisse, die alltägliche Entrechtung und den Kampf um soziale und politische Rechte. Dem kriminalisierten Thema wird offensiv aus der Perspektive entgegnet, dass wir längst gemeinsam hier leben und Legalisierung täglich stattfindet.

Die Gesellschaft für Legalisierung versteht sich als Bündnis. Sie will die Arbeitsteilung überwinden, die vom Ausländergesetz vorgegeben wird und die Kämpfe von Flüchtlingen, AsylbewerberInnen, MigrantInnen mit oder ohne Papieren, antirassistischen Gruppen und so genannten Betreuungsdiensten in Kirchen und sozialen Einrichtungen voneinander trennt. Diese Überwindung lässt sich jedoch nicht voluntaristisch deklarieren, sondern muss praktisch in Angriff genommen werden. Die Legalisierungstour ist ein Teil dieser Strategie. Die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit - Recherchen, Diskussionen, Interviews - werden multipliziert und zugänglich gemacht.

Vor einem Monat in Berlin: In einer Stadtrundfahrt mit Reisebus, Plastikrosen und Hochzeitsporsche setzten sich VertreterInnen von Respect, kanak attak, der medizinischen Flüchtlingshilfe, von Zapo (Zentrale Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa), Mujeres sin Rostro, von einem Frauen-Lesben-Bündnis, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, Elixira und Mujeres de este tierra in Bewegung. Sie organisierten die erste Station der Legalisierungstour.

Die Gruppen wählten verschiedene Bezugspunkte in der Stadt: den Bundeskongress von Verdi, die Ausländerbehörde, ein Krankenhaus, Kreuzberg, die Friedrichstraße, den Checkpoint Charly. Die Stadt wurde unter dem Aspekt der Illegalisierung und des Kampfes um Rechte kartografiert. Gleichzeitig wurden die Orte als Bühnen für unterschiedliche Aktionen benutzt, die an jenem Tag stattfanden. Vor der Charite verteilte die Gesellschaft übertragbare Versicherungskarten der "Transkontinentalkasse (TK)". Sie sind zwar nur aus Pappe, sollten aber all jene, die echte Karten haben, auf gute Ideen bringen. Bei einem Hochzeitskorso durch die Friedrichstraße wurde für einen Moment eine Legalisierungsstrategie im Stadtbild sichtbar, die gerade deshalb erfolgreich ist, weil sie meist heimlich, still und leise über die Bühne geht.

Bei einem Besuch des Bundeskongresses von Verdi erkämpften sich GesellschafterInnen Zutritt zum großen Plenum und hielten eine Rede. Die Gewerkschaft solle endlich die Kämpfe aller Arbeiterinnen und Arbeiter gegen Ausbeutung, Missbrauch und Illegalisierung unterstützen, egal ob sie im Haushalt, im Bordell oder in der Fabrik arbeiten, egal ob sie Papiere haben oder nicht. Obwohl die Gewerkschaften die letzten Jahre und Jahrzehnte eine gegenteilige Politik verfolgten, applaudierten Tausende von Delegierten. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske konnte sich danach im Interview eine Legalisierung aller hier lebenden Migrantinnen und Migranten durchaus vorstellen. (Siehe Seite 2 dieses Dossiers)

Der Tag in Berlin hat gezeigt, dass die Kriminalisierung und Entrechtung von MigrantInnen dann nicht ohne weiteres legitimierbar und durchsetzbar ist, wenn sie offensiv angegriffen wird. Dass Leute um ihren Lohn, um Gesundheitsversorgung, um Bildung, kurz: um ihre sozialen und politischen Rechte kämpfen, leuchtet ein. Alltagskämpfe können aus verschiedenen Perspektiven aufeinander bezogen werden. Die Bedingungen, unter denen sie ausgetragen werden, sind angreifbar. Insofern findet Legalisierung täglich statt.

Aus der Geschichte der Migration in Alemanya wissen wir: Zuzugsstopp hin oder her, die Zahl der hier lebenden Migrantinnen und Migranten hat sich seit den siebziger Jahren mehr als verdoppelt. Wenn wir heute ein Recht auf Legalisierung fordern, stellen wir uns in eine Tradition der Kämpfe. In den Siebzigern nahmen sich MigrantInnen das Recht auf Familiennachzug und blieben trotz Zuzugsstopp und Rückkehrförderung hier. In den Achtzigern wurde massenhaft das Recht auf Asyl in Anspruch genommen. Damals begannen auch die Kämpfe ums Bleiberecht.

Die unübersichtlichen Aufenthaltstitel, die es heute gibt, können als Ergebnis dieser Auseinandersetzungen verstanden werden, als Versuch staatlicherseits, dem Begehren zu bleiben und dem Kampf für ein Recht auf Flucht zu begegnen. Das Inländerprimat und der so genannte Asylkompromiss stellen aus dieser Perspektive historische Niederlagen dar. Heute werden Forderungen nach kollektiven Rechten wie in der Debatte um doppelte Staatsbürgerschaft verwehrt und als individuelle Integrationsanforderungen an den Einzelnen zurückgegeben. Doch die KanakInnen verweigern sich diesen Anforderungen und wollen unter diesen Umständen lieber nicht eingebürgert werden. (Siehe Seite 4 dieses Dossiers)

Mittlerweile leben und arbeiten in diesem Land acht Millionen Leute ohne deutschen Pass, zehn Prozent der Bevölkerung, die nicht wählen dürfen und die mehr oder weniger unter Vorbehalt stehen. Entrechtung findet im Alltag statt, hierarchisiert und differenziert.

Wenn wir von acht Millionen Leuten sprechen, sprechen wir also nicht von einer einheitlichen Größe. Doch auch wenn es "nur" das Ausländergesetz ist, das eine ecuadorianische Hausarbeiterin ohne Papiere mit der Green-Card-Softwarespezialistin verbindet, dann kann auch nur ein Kampf gegen dieses Gesetz den Widerstand neu ausrichten. Wenn wir für ein Recht auf Legalisierung kämpfen, fordern wir mehr als die Regularisierung von Arbeitsverhältnissen. (Siehe Seite 3 dieses Dossiers) Es geht darum, die Bedingungen des Widerstands zu verbessern, unter denen wir hier leben und arbeiten.