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Recht auf Automatik

Die KanakInnen in Deutschland bestreiken längst das rot-grüne Einbürgerungsrecht. Von Miltiadis Oulios, kanak attak

Auch unter Rot-Grün bleibt das deutsche Einbürgerungsrecht ein rassistisches Dispositiv, das mehr Einbürgerungen verhindert, als es produziert. Aber während vor dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition der Zugang zum deutschen Pass eine zentrale antirassistische Forderung darstellte, herrscht mittlerweile ein auffälliges Schweigen im deutschen Wald.

Tatsache ist: Die meisten KanakInnen in Deutschland verweigern sich dem geforderten Amtsgang samt "Integrations"-Kontrollen, die immer noch an den Erwerb des deutschen Passes gekoppelt sind. Die Zahl der Einbürgerungen im vergangenen Jahr war mit 150 000 nicht viel höher als vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 1. Januar 2000.

Trotzdem fabulierte die Integrationsbeauftragte Marie-Luise Beck im Sommer unwidersprochen von einer "Stabilisierung auf hohem Niveau". Beck spricht von einem "positiven Trend". Bei diesem Trend dürfte es bis zum Jahr 2023 dauern, dass alle heute hier lebenden erwachsenen Einwanderer in Deutschland Bürgerrechte besitzen.

Die unausgesprochene Streikhaltung, die sich in den mauen Zahlen der Einbürgerungsstatistik ausdrückt, ist der geeignete Anknüpfungspunkt, und die Frage nach dem Doppelpass neu zu stellen. Wir von kanak attak betonen, dass es bei der Legalisierungsoffensive nicht nur um Leute ohne Papiere geht. Es geht auch um die Bürgerrechte von acht Millionen Einwanderern in Deutschland, die ihnen gegenwärtig verwehrt werden.

Aus dieser Perspektive ist die Situation der Sans Papiers nur die drastischste der Entrechtungen, die das Migrationsregime produziert. Sie stellen eine rassistische Hierarchisierung her, welche die kapitalistische Verwertung der papierlosen Putzkraft und des entrechteten politischen Flüchtlings ermöglicht. Sie erleichtern auch den Ausschluss der Einwandererkids zweiter und dritter Generation von privilegierteren Jobs - eine Reservearmee für schweißtreibende Arbeiten in Industrie und Imbissbuden.

Aber statt von Entrechtung ist derzeit viel von Integration die Rede, von individuellen Anforderungen an den Einzelnen. So werden für die Stagnation der Einbürgerung auch nicht die Zugangsbedingungen zu demokratischen Rechten verantwortlich gemacht, sondern etwa "mangelnde Sprachkenntnisse", wie es der NRW-Innenminister Fritz Behrens kürzlich sagte.

Die Reform wurde von der rot-grünen Bundesregierung nach der Devise durchgeführt, dass Einbürgerung am "Ende eines Integrationsprozesses" steht. Das hat sich vor allem für die MigrantInnen der ersten Generation als Schlag ins Gesicht erwiesen. Sie finanzieren seit Jahrzehnten den Haushalt von Bund, Ländern und Kommunen. Und sie müssen sich heute immer noch einen Zeitungsartikel zum Vorlesen vorsetzen lassen, wenn sie das Wahlrecht wollen.

Deutschkenntnisse, die für 40 Jahre Arbeit in der deutschen Industrie gereicht haben, sollen nicht für den deutschen Pass reichen Längst machen sich aber auch hier einige MigrantInnen die Vorschrift zunutze, dass die Beamten bei älteren Leuten kulant sein dürfen. Dennoch, die meisten gehen nicht zur Behörde, und das sollte auch nicht nötig sein.

Weil das Zuwanderungsgesetz nicht in Kraft getreten ist, haben die Innenminister von Bund und Ländern auch längst angekündigte Erleichterungen gestoppt. W¨hrend die generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit weiter vereinfacht werden sollte, bleibt einiges Durcheinander bestehen.

Dank zwischenstaatlicher Verträge können seit Jahresanfang Italiener oder Franzosen den deutschen Pass erhalten, ohne ihren alten abgeben zu müssen. Bei Marokkanern, Iranern oder Griechen ging das schon vorher. Ebenso bei Asylberechtigten. Aber für die Hälfte der MigrantInnen bleibt der "Doppelpass" weiterhin verboten. Der Staat kann dennoch das Begehren nach dem Doppelpass längst nicht mehr aufhalten. Es gibt Tausende TürkInnen und KurdInnen, die fintenreich vorgehen und beide Pässe behalten.

Trotzdem gibt es kaum KanakInnen, die die geltenden Prozeduren nicht als Demütigung empfinden. Und die meisten sagen: "Ihr könnt uns mal!" Es gibt genug Leute aus der zweiten und dritten Generation, die den deutschen Pass locker bekommen würden, aber unter den herrschenden Bedingungen keine Lust dazu haben. Und es gibt genug, die für sich selbst bestimmen, ob sie sich deutsch fühlen und wie sehr. Und genug Leute finden, dass sie ohne "Kartoffeltest" eingebürgert werden müssten, einfach weil sie hier geboren sind und hier leben.

Während vor zehn Jahren noch die Hetze über arbeitslose "Ausländer" als "Sozialschmarotzer" den Diskurs bestimmte, wird heute nicht darüber gesprochen, wer die Zeche der aktuellen Depression zahlt. Knapp 20 Prozent der Erwerbslosen im Land sind dem Status nach Ausländer, in Wahrheit aber entrechtete Inländer. Das Inländerprimat und die Einbürgerungspraxis sorgen dafür, dass es beim schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt.

Denn nur wer nachweist, dass er oder sie "unverschuldet" öffentliche Mittel bezieht, kann eingebürgert werden. Fragt man in einer beliebigen Meldebehörde, wer diese Klausel in Anspruch nimmt, erntet man Kopfschütteln. Wer lässt sich schon auf die Erniedrigung ein, mit seinen gesammelten Bewerbungsabsagen auf dem Amt zu erscheinen?

Es geht deshalb auch um die Legalisierung politischer Rechte. Das Recht auf Politik nehmen sich AsylbewerberInnen, die bewusst die Residenzpflicht missachten, um zu einem politischen Kongress zu fahren. Dieses Recht nehmen sich Einwanderer der x-ten Generation, die sich politisch in Alemanya artikulieren und organisieren. Jedes Mal, wenn wir unsere Stimme erheben, obwohl in unserer Aufenthaltserlaubnis nur drinsteht, dass wir hier arbeiten dürfen, bürgern wir uns automatisch ein.

Tatsächlich gibt es schon Verfahren der automatischen Einbürgerung, über die aber nicht gesprochen wird. Im vergangenen Jahrzehnt erhielten über eine Million Menschen in Deutschland als Aussiedler den deutschen Pass. Seit 1999 erwirbt dieser Personenkreis die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetz. Es geht also, warum nicht für alle?

Während das deutsche Grundgesetz bei der !Einbürgerung von Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit" jene meint, die im Ausland leben, meinen wir die in Deutschland Lebenden: acht Millionen KanakInnen ohne deutschen Pass. Statt dem Blutsrecht das Recht des Geburtsorts gegenüber zu stellen, fordern wir die Koppelung der vollen Bürgerrechte an den Wohnort, auch unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Unser Ziel ist die Schöpfung von globalen und mobilen Rechten.