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Organising by ver.di?

Wie die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft auf Prozesse der Illegalisierung reagiert

Von respect und kanak attak berlin

Als sich ver.di im Frühjahr 2001 gründete, sollte die Vereinigung von verschiedenen Gewerkschaften dem immer wichtiger werdenden Dienstleistungssektor eine größere Kampfstärke verleihen und den gravierenden Mitgliederrückgang aufhalten.

Bei dem mit vielen Erwartungen verknüpften Start von ver.di fanden sich auch Positionen, sich sowohl für ganz neue gesellschaftliche Bündnisse und Organisationsformen zu öffnen als auch verstärkt gegen Rassismus vorzugehen.

Nicht ganz unerwartet, blieben viele Hoffnungen bisher unerfüllt. Zwar forderten ver.di wie auch der DGB in der Debatte um ein neues Zuwanderungsgesetz einen gesicherten Aufenthaltsstatus für mehr als fünf Jahre hier lebende "Ausländer" und nahmen damit implizit eine Forderung der Bleiberechtskampagne auf, die mehrere Flüchtlingsräte, Roma-Organisationen und Pro Asyl organisierten. Bleiberechte sollten sich jedoch nur auf "rechtmäßig" hier lebenden Menschen beziehen.

Die Gewerkschaft ver.di schweigt jedoch, wenn es um die Situation und die Rechte von Menschen ohne Papiere geht. Nur sehr vereinzelt machen sich GewerkschaftsvertreterInnen für deren Legalisierung stark ? bisher ohne Resonanz. Prozesse der Illegalisierung und der damit verbundenden Entrechtung werden von ver.di nicht als gewerkschaftliches Handlungsfeld thematisiert. So schloss die Kritik an der "Hartz-Reform" nicht die Tatsache ein, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe arbeitslosen MigrantInnen die Möglichkeit nimmt, einen unbefristeten Aufenthaltstatus zu bekommen oder sich einbürgern zu lassen. Potentiell droht ihnen sogar der Entzug des Aufenthaltsstatus.

Als sich dieses Jahr schließlich die IG Metall als erste und bisher einzige Gewerkschaft einer Stellungnahme der Europäischen Kommission anschloß, die Regularisierung undokumentierter EinwanderInnen doch als ein Mittel der Regulierung des Arbeitsmarktes einzusetzen, blieb diese Forderung bisher wo sie ist - auf dem Papier. In der realen Organisationswirklichkeit von Gewerkschaften spielen die unterschiedlichen Proklamationen nach diversen Bleiberechten bisher keine Rolle. Damit sich das ändert, haben wir eine Legalisierungsoffensive ins Leben gerufen.

Die Gesellschaft für Legalisierung

Der Berliner Teil der bundesweiten Gesellschaft für Legalisierung besteht aus Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, antirassistischen und feministischen Gruppen, einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern und Beratungsstellen, die soziale und politische Rechte für MigrantInnen mit und ohne Papiere einfordern und Legalisierungsmöglichkeiten fördern wollen.
Wir wenden uns an dieser Stelle an ver.di, weil gerade im Dienstleistungssektor Arbeitsverhältnisse zunehmen, in denen undokumentierte ArbeiterInnen Beschäftigung finden. Das trifft auf den Transportbereich und in gravierender Weise auf den Bereich der Sexarbeit zu, wo der Anteil der von migrantischen Arbeitskräften geleisteten Arbeit allein auf 60 Prozent geschätzt wird. Viele von ihnen leben hier ohne Aufenthaltstatus bzw. sind von Illegalisierung bedroht. Ein weiterer Bereich sind die vielen Personen, die vor allem in den Großstädten in haushaltsnahen Dienstleistungen arbeiten, alte bzw. kranke Menschen pflegen, Hausarbeit verrichten und Kinder hüten.

Obwohl selbst minimale Menschen- und Arbeitsrechte der undokumentierten ArbeiterInnen nicht geachtet werden, vollzieht sich ihr Widerstand gegen miese Arbeitsbedingungen jenseits und unbemerkt von der gewerkschaftlichen Praxis. Das Problem, dass Gewerkschaften mit ihrer bisherigen Politik der Interessenvertretung von den realen Arbeitsverhältnissen und konkreten Handlungsmöglichkeiten von Menschen ohne Papieren meilenweit entfernt sind, ist hausgemacht:
Die Lücke, die sich zwischen tatsächlicher Situation und dem Anspruch der Gewerkschaften klafft, ArbeitnehmerInneninteressen zu vertreten, erklärt sich erstens aus der "Schwarzarbeitsdebatte". Die Vorstellung einer neuen Form der "Schmutzkonkurrenz" undokumentierter ArbeiterInnen setzt von vornherein ein Denken in Gang setzt, dass einer Gruppe von Menschen ein Vorrecht auf einen Arbeitsplatz gegenüber einer anderen einräumt. Dieses Denken ist nationalistisch und rassistisch, weil es Menschen nach eben solchen Kategorien einteilt.

Zweitens kommt hinzu, dass feministische Positionen, die z.B. innerhalb der Gewerkschaften dafür streiten, den Arbeitsbegriff auszuweiten und frauenspezifische Tätigkeiten tariflich aufzuwerten, immer noch in den Gewerkschaften umkämpft sind. Auch dies hat Auswirkungen auf die Organisierung von undokumentierten Arbeitnehmerinnen. Denn Frauen ohne Papiere finden vor allem in Bereichen wie der Haus- und Sexarbeit Beschäftigung, in denen auch Arbeitnehmerinnen mit Papieren kaum oder gar nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Obwohl über 4 Millionen Privathaushalte Hausarbeiterinnen anstellen, sind lediglich 300 Arbeiterinnen aus diesem Bereich als Gewerkschaftsmitglieder registriert. Trotz bestehender Tarifverträge besteht ein breiter Konsens darüber, diese Arbeitsverhältnisse vor allem informell und untertariflich zu organisieren. Für die in der Sexarbeit Beschäftigten hat ver.di mit der Verabschiedung eines neuen Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 immerhin die Aufgabe übernommen, einen Modellarbeitsvertrag für deren Arbeitsverhältnisse zu erarbeiten. Er wurde bisher jedoch kaum genutzt, unterscheidet sich der Arbeitsplatz Prostitution doch gravierend von betrieblichen Arbeitsplätzen. Die große Mehrheit der dort arbeitenden Frauen und Männer legen z.B. keinen Wert auf feste Arbeitszeiten und Kündigungsfristen.

Gewerkschaften sind damit keine Anlaufstellen für ArbeitnehmerInnen, deren fundamentale Arbeitsrechte verletzt werden. Eine Hausarbeiterin, ein Bau- oder Transportarbeiter werden sich nicht an eine gewerkschaftliche Beratungsstelle wenden, wenn ihre Löhne nicht ausgezahlt werden, gerade weil sie keine Papiere haben - genauso wenig wie eine Sexarbeiterin, die unfaire und schlechte Arbeitsbedingungen vorfindet.

Statt dessen gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, solche Verletzungen von Arbeitsrechten als Menschenrechtsverletzungen zu fassen und ausschließlich zur Aufgabe von Beratungsstellen zu machen. Sexuelle Übergriffe von ArbeitgeberInnen gegenüber undokumentierten Hausarbeiterinnen oder Arbeitsverhältnisse von migrantischen SexarbeiterInnen im Allgemeinen werden im öffentliche Diskurs mit dem Begriff des Menschenhandels gefaßt. Zwar ist im Falle von sexuellen Übergriffen die Polizei der ?gesetzlich vorgesehene? Ansprechpartner, aber dafür eignet sie sich denkbar schlecht, hat sie doch primär ein Interesse daran, undokumentierte Arbeiterinnen abzuschieben, statt ihre Rechte zu schützen. Die gleiche Verschiebung findet statt, wenn Unterbezahlung bzw. das Vorenthalten von Löhnen von Gewerkschaftsseite lediglich als "Sozialdumping" begriffen wird. Die gleichzeitig daraus folgenden prekären Arbeits- und Lebensbedingungen werden stillschweigend zur "humanistischen Aufgabe" gemacht und den Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, medizinischen Beratungsstellen, antirassistischen Gruppen und natürlich den migrantischen Communities zum "Auffangen" überlassen.

Die Zentrale Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa und der Polnische Sozialrat haben sich in den letzten Jahren bemüht, mit dem Ansatz ?Unterstützen statt Kontrollieren? diese Verantwortung an die Gewerkschaften zurückzugeben. Dieses Konzept bezieht sich auf den Baubereich und sieht vor, dass die IG BAU papierlose ArbeiterInnen bei der Durchsetzung von Arbeitsrechten wie dem Recht auf Auszahlung von Lohnansprüchen unterstützt, anstatt sich an Razzien und deren Kriminalisierung zu beteiligen. Die Vorstände der IG BAU und des DGB haben dieses Modell zwar mehr oder weniger "freudig" begrüßt. Eine Durchsetzung in der gewerkschaftlichen Praxis wurde jedoch nicht angegangen. Lediglich das DGB-Bildungswerk veröffentlichte dieses Jahr eine Broschüre über die Rechte, die ArbeitnehmerInnen aus Arbeitsverhältnissen zustehen, auch wenn sie keinen Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnis besitzen.

Es ist Zeit zum Handeln - auch für ver.di!!

Arbeitsrechte und soziale Mindeststandards brauchen Organisationen, die sich für ihre Durchsetzung stark machen - und das sind die Gewerkschaften. Außerdem erhalten sie nur dann Gültigkeit, wenn sie für alle ArbeitnehmerInnen erkämpft werden. Für uns ist es bisher jedoch nicht erkennbar, welche Strategien ver.di überhaupt verfolgt, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen ? sowohl auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als auch für die Dienstleistungen, die in den Zuständigkeitsbereich von ver.di fallen.

Welche Solidarität?

Die bisher dominierende Logik der Ausgrenzung von undokumentierten ArbeitnehmerInnen entlang rassistischer und sexistischer Mechanismen, schützt bestimmte Interessen innerhalb der noch weitgehend nationalstaatlich orientierten Gewerkschaften. Sie beruht auf der Annahme, auf diese Weise das Angebot von Arbeitskräften begrenzt zu halten und für Frauen und vor allem Männer mit deutschem Pass regulierte, gut bezahlte Arbeitsplätze durchsetzen zu können.

Diese Logik der Abschottung leugnet die Realität der Migration. Obwohl das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde und die Grenzen aufgerüstet wurden, migrieren Menschen. Massivere Grenzkontrollen führen nicht dazu, Menschen an den Grenzen aufzuhalten, sondern den Preis ihrer Überwindung in die Höhe zu treiben und die Zahl der Toten anwachsen zu lassen. MigrantInnen können nunmehr nur illegal hier arbeiten und leben. Regulierungsbestrebungen wie die Green-Cards dienen im Effekt eher der Entrechtung und Abhängigkeit, da sie den Aufenthaltstitel an den Arbeitgeber koppeln. Außerdem können sie zur untertariflichen Bezahlung führen wie es bei der Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung für Pflegekräfte aus den EU-Beitrittsländern geschah. Diese sah vor, dass Frauen offiziell als Hauswirtschaftshilfen für Haushalte mit pflegebedürftigen Personen eingestellt werden. Tatsächlich war aber davon auszugehen, dass sie als weit untertariflich bezahlte Pflegekräfte beschäftigt wurden.

Die Abschottung der Grenzen geht also mit einer Illegalisierung, Entwertung und tariflichen Unterbezahlung von Arbeitskräften einher. Illegalisierung wird damit zu einer kapitalistischen Strategie, die dafür sorgt, Tarifverträge zu unterlaufen, regulierte Beschäftigung unter Druck zu setzen und bestimmte Arbeiten zu nicht-existenzsichernden Löhnen erledigt zu bekommen. Diese kapitalistische Strategie läuft den gewerkschaftlichen Zielen, die Entstehung eines Niedriglohnsektors zu verhindern und eine starke gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten zu erreichen, diametral entgegen. Wenn Beschäftigte nicht allein den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch die Denunziation und die Abschiebung fürchten müssen, ist eine (gewerkschaftliche) Organisierung gegen ausbeuterische ArbeitgeberInnen kaum möglich.

Welche Strategien?

Gewerkschaften sehen sich heute durch die zunehmende neoliberale Umgestaltung von Arbeitsverhältnissen gezwungen, nach neuen "zukunftsweisenden" Ansätzen von gewerkschaftlicher Organisierung zu suchen. In der öffentlichen Diskussion wird das Problem meist so dargestellt, dass die Gewerkschaften mit der zunehmenden Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland, die Gewerkschaften vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie sich für die Arbeitsrechte von Menschen einsetzen, die dies bitter nötig haben oder sich darauf beschränken, die Arbeitsplätze und -bedingungen derjenigen zu schützen, die noch in regulierten Arbeitsverhältnissen arbeiten "dürfen". Wir halten die Annahmen, die dieser polarisierten Diskussion zugrunde liegen, für politisch falsch und zwar nicht nur, weil in ihr der Schutz regulierter Arbeitsverhältnisse oft genug von konservativer Seite als bornierte Besitzstandwahrung denunziert werden kann. Diese Polarisierung macht auch einige Punkte unsichtbar, die für uns von zentraler Bedeutung für die Ausgestaltung neuer gewerkschaftlicher Konzepte sind:
Viele Arbeitsverhältnisse sind schon immer prekär organisiert gewesen. Flexible, deregulierte Arbeitsverhältnisse nehmen nicht erst zu, seitdem Dienstleistungen outgesourct werden und ein Niedriglohnsektor staatlich gefördert wird. Und das klassische Mittel im Arbeitskampf - der Streik - ist nicht erst wirkungslos, seitdem ein zunehmend transnational agierendes Kapital sich einfach neue Standorte sucht, wenn ArbeiterInnen gewerkschaftliche Vertretung und höhere Löhne fordern. Haus-, Pflege- und Sexarbeit waren schon immer prekär organisiert, und es ist kein Zufall, dass sie primär von Frauen/MigrantInnen besetzt werden. Aber Gewerkschaften haben sich nie sonderlich dafür interessiert, wenn Arbeit nicht in einem Betrieb und in einem Arbeitnehmerkollektiv stattfindet, sondern vereinzelt im "Privaten", wo ihre Ausübung gegen Geld normativ gar nicht erwünscht ist, wie im Haushalt und beim Sex.

Veränderungen im Dienstleistungsbereich brauchen neue Antworten und Strategien, die auf einem veränderten Solidaritätsverständnis beruhen. Aber diese Notwendigkeit stellt sich keineswegs neu. Wenn neue Methoden der (gewerkschaftlichen und) politischen Interessendurchsetzung den Arbeits- und Lebenswirklichkeiten der Beschäftigten gerecht werden sollen, müssen sie auch die Zusammenarbeit mit linken gesellschaftlichen Kräften einschließen und nicht nur nationale Grenzen überschreiten, sondern auch rassistische und sexistische Hierarchien überwinden.

Eine Organisierung und Stärkung des Dienstleistungsbereichs zu erreichen, ohne auf Prozesse der Illegalisierung und andere Formen der Prekarisierung zu reagieren, hat keine Zukunft ? deswegen fordern wir von ver.di folgendes:

- Ver.di spricht offensiv ArbeitnehmerInnen in irregulären Beschäftigungsverhältnissen an und arbeitet eng mit VertreterInnen migrantischer Netzwerken, Beratungsstellen u.a. zusammen, um den Schutz von Arbeitsrechten unabhängig vom Aufenthaltsstatus durchzusetzen. Das schließt die Bereitstellung von Ressourcen für mehrsprachiges Personal und für Organisierungskampagnen ein.

- Ver.di ändert die Aufnahmekriterien dahingehend, dass ArbeitnehmerInnen auch ohne Bankkonto, mit sehr wenig bis gar keinem Einkommen, ohne deutsche Sprachkenntnisse und Meldeadresse Mitglieder werden können. Bei Bedarf ist eine Anonymisierung möglich.

- Ver.di vertritt Arbeitsrechte und Mindeststandards für ArbeitnehmerInnen ohne Papiere offensiv in Politik und Gesellschaft sowie in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Sie setzt sich vor allem für eine Ratifizierung der UNO-Konvention für die Rechte der WanderarbeiterInnen und ihrer Familien und ihre Umsetzung in nationales Recht ein. Auf der Alltagsebene setzt sie sich praktisch für die Durchsetzung des Zugangs zu Bildung, Wohnung und gesundheitlicher Versorgung ein. Sie fordert ein Recht auf Legalisierung.

- Für die Bereiche der Haus-, Pflege- und Sexarbeit werden zusammen mit den ArbeitnehmerInnen neue Formen und Strategien der Interessensdurchsetzung entwickelt.

- Ver.di setzt sich für die Anerkennung von Berufs- und Universitätsabschlüssen von Nichtdeutschen und eine Abschaffung des Inländerprimats ein - Ver.di beschließt die Anerkennung der MigrantInnen als Personengruppe innerhalb von ver.di

Oktober 2003