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Im Wartezimmer des Weltgeistes ... (Massimo Perinelli / Kanak Attak) ... sind nicht alle Plätze gleich behaglich verteilt. Wir alle wissen, wie das Gesetz zur Regelung und Begrenzung der Zuwanderung die Lebenschancen von Menschen ohne deutschen Pass hierarchisieren wird. In dieser Funktion und zwar nur in dieser unterscheidet es sich lediglich durch seine Vereinfachung und rassistische Radikalisierung vom Dschungel der früheren Ausländergesetzgebung. Nun ist der Entwurf von Rechts ausgebremst und an den Deppen dieses Landes vorerst gescheitert. Kein Grund zur Freude, bedeutet es doch wahrscheinlich, dass die kommende Neufassung ausschließlich von rechts diktiert werden wird. Aber es bietet sich trotzdem die Chance in dieser Konstellation eine antirassistische Fundamentalopposition zu etablieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Gesetz der Partizipation breiter zivilgesellschaftlicher Zirkel von Pro Asyl über feministischen Flüchtlingsunterstützerinnen bis zu kirchlichen AntirassistInnen bedurfte, die in der Hoffnung auf geringfügige inhaltliche Mitbestimmung mit an diesem Gesetz gebastelt und dadurch legitimiert hatten. Jetzt ist der Augenblick gekommen Bilanz zu ziehen und die Enttäuschung über das Scheitern, ein bisschen rotgrün mitzuregieren, in Verweigerung an diesem Projekt zu verwandeln. Nur ein klares Nein kann den Effekt haben, dass sich das kommende Einwanderungsgesetz zu unseren Gunsten neigt. Denn nach wie vor steht es für den Versuch des Staates, abgestufte Lebensqualitäten für verschiedene Bevölkerungsgruppen festzulegen. InhaberInnen einer Greencard, StudentInnen anderer Länder, GastarbeiterInnen, Hausarbeiterinnen, deren Aufenthaltserlaubnis seit neuestem an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden ist, Eheleute in privater Abhängigkeit von einem oder einer Partner/in mit deutschen Pass, ReproduktionsarbeiterInnen in Sex- und Pflegediensten, SaisonfeldarbeiterInnen und Bauarbeiter, in Lagern verwahrte und zur Untätigkeit verurteilte AsylbewerberInnen ihnen allen werden durch das Gesetz bestimmte Rechte verliehen oder aberkannt. Zu diesem Composé gesellen sich die alltäglichen Gängelungen und Handgreiflichkeiten, die Denunziations- und Mordlust, sowie auch die AnhängerInnen des Multiculturalism, die ihren Gemüsetürken ebenso verteidigen wie ihre polnische Putzfrau, die zu black music cruisen und Kennenlern- und Solidaritätsfeste vor ihrem lokalen Asylbewerberheim organisieren, aber auch gerne mal mit Nazis über deren soziale Probleme reden. Zusammen mit den staatlichen Institutionen bilden sie das Migrationsregime, das je nach Interessenlage und Neurosenkonjunktur meint, mitentscheiden zu können, ob und welche Rechte MigrantInnen gewährt werden. Das gesamte Setting der gesellschaftlichen Privilegierung und Entrechtung, die das Leben und Überleben von MigrantInnen garantieren oder in Frage stellen, wird dabei von den meisten Deutschen als etwas begriffen, was Kanaken abhängig von ihrer Nützlichkeit, ihrer Kooperationsbereitschaft und ihrem Verhalten passiv erhalten oder erleiden. Das Migrationsregime präsentiert sich als ein Prinzip des Gebens und Nehmens und der Terminus, um den sich dieser Kuhhandel dreht, wird Integration genannt. No Integration ! Integration ist derzeit der zentrale Begriff zur Durchsetzung rassistischer Subordination in Deutschland. Er fungiert in doppelter Bedeutung: Zunächst als Forderungs- und Unterwerfungskatalog für widerspenstige Kanaken, dann aufgrund seines inhärenten falschen Versprechens als internalisierte Selbstentwaffnung von MigrantInnen selbst. Auch historisch ist die Rede von der Integration als eine staatliche Entgegnung auf die Kämpfe von MigrantInnen zu verstehen. Im neuen Einwanderungsgesetz jedoch werden bisher willkürlich erwartete Integrationsleistungen nun erstmals einheitlich geregelt als Punktesysteme für kulturelle Zwangsfortbildungen. Wer nicht genügend Punkte sammeln kann, den kostet es die Bürgerrechte oder die Aufenthaltsberechtigung. Aber Integration ist mehr als ein Kampfmittel des Staates. Auch in der so genannten Zivilgesellschaft hat sich der Begriff bis weit in die Linke hinein durchgesetzt. Dort bedeutet Integration, Sympathievergabe für Kanaken an eine bestimmte, absolut willkürliche Vorstellung über deren Verhalten zu knüpfen, um ein gewünschtes Verhältnis von Biodeutschen zu Nichtdeutschen herzustellen. Behaupten die einen, Ausländer dann nicht mehr totschlagen zu wollen, wenn diese nicht mehr überall hin pissen und immer klauen würden, fordern die anderen weniger Sexismus bei den südländischen Männern, weniger Kopftuch bei den Frauen oder eine Abkehr vom individuellen Streben nach materiellem Wohlstand. In der Reduktion migrantischer Alltagsverhältnisse auf Fragen des falschen Lebensstils erfüllt sich jedoch der einzige Zweck von Integration: Den Kampf um Rechte und Autonomie die einzig wirklich interessante Option für Kanaken in ein Projekt des Scheiterns zu überführen. Die Geschichte des Integrationsterrors gegenüber Sinti und Roma, die hundertjährige Geschichte von schwarzen Deutschen oder die fünfzigjährige Geschichte der GastarbeiterInnen in diesem Land haben uns den Charakter dieser Integrationslüge mehr als deutlich werden lassen. Es wird kaum auf etwas aggressiver reagiert, als auf den Kanaken, der nicht mehr als solcher zu identifizieren ist. Die liminale Phantasie der Mehrheitsgesellschaft, die bestimmen möchte, was aus integrierten Kanaken wird, sieht keine Gleichheit vor, sondern eine exotisierte Fiesta der Kulturen, auf der die Schwarzen tanzen, die Italiener Pizza machen und die Zigeuner über die Lande fahren. Wer sich nach einem negativ ausgefallenen Ethno-Check schon einmal einen kulturkundlichen Vortrag geballter deutscher Volksweisheit über seine eigenen angeblichen migrantischen Wurzeln und Traditionen anhören durfte nebst Gebrauchsanweisung für den authentisch-feurigen Habitus , weiß von was hier die Rede ist. Oder anders gesagt: Integration heißt, assimiliert euch, aber bleibt exotisch. Das ist das doppelte Spiel des Rassismus und des falschen Antirassismus, das in der stereotypen Karnevalisierung von Alltagspraxen das rassistische Konzept von Multikulti plus Integration beschreibt. Das Recht auf Legalisierung Der Kampf um Rechte ist für uns damit automatisch ein Kampf gegen Integration, gegen die Willkür behördlicher Behandlung und gegen die Abhängigkeiten von deutschen antirassistischen Wohltätigkeitsbasaren. Dieser Kampf muss sich auf die Erfahrung eigener Netzwerke und Kollektive beziehen, die es MigrantInnen seit Generationen ermöglichen, dauerhaft in Deutschland leben zu können. Die Forderung nach Rechten ist somit kein Appell nach Legitimation an den Staat, sondern die Folge einer Reflexion der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen antirassistischer Kämpfe. Wer Rechte fordert, fordert keine Gesetze, sondern stellt sie zunächst einmal in Frage. Beim Kampf um das Recht auf Legalisierung geht es uns auch nicht einfach um die Illegalen. Diese Zuordnung bleibt deshalb künstlich, weil sie keine Lebensverhältnisse beschreiben kann und damit auch keine politische Intervention ermöglicht. Der Status der Rechtlosigkeit überfällt einen nicht wie die deutsche Armee Polen, sondern erfolgt partiell und/oder schrittweise. So dürfen manche mit einem Universitätsvisum hier studieren, aber nicht arbeiten, andere kommen als TouristInnen, verlieben sich und wollen bleiben. Oder sie reisen als Ehegatten ein und trennen sich von ihrem deutschen Partner oder der deutschen Partnerin. GreencardlerInnen haben Arbeitsverträge, dürfen aber ihren Arbeitsplatz nicht wechseln, manche Flüchtlinge haben zwar das Recht, hier zu leben, dürfen aber wegen der Residenzpflicht ihren Wohnort nicht verlassen. Wieder andere dürfen als Gastarbeiter hier arbeiten und wohnen, aber nicht wählen. Schließlich gibt es noch die mehr als eine Million völlig ohne regulären Status hier lebenden Menschen, die aus ökonomischen Interesse geduldet werden, damit sie als unterstes Segment der Klasse die Deregulierung des Arbeitsmarktes auffangen sollen. Oder AsylbewerberInnen, deren Anerkennungsverfahren nicht positiv entschieden wird und die keine Lust auf die Torturen in den Korridoren der falschen Hoffnungen haben. Dann sind da noch die MigrantInnen, die schwarz arbeiten, aber dennoch erfolgreich ihren nicht erhaltenen Lohn einklagen. Wieder andere haben sogar einen deutschen Pass und werden dennoch ständig belästigt. Illegal das können prinzipiell alle Leute werden, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und ohne Ticket fahren, unangemeldet in einer WG wohnen oder ganz einfach am Sonntag auf der falschen Baustelle arbeiten. Illegalisierung ist also ein Zustand und ein Prozess der Entrechtung, der alle Menschen ohne deutschen Pass und alle Kanaken per se betreffen kann. Der Kampf für ein Recht auf Legalisierung kann somit keine Einpunktkampagne mit Stichtagsregelung für Sans Papiers sein, sondern setzt an den Lebensverhältnissen an, in denen MigrantInnen ohnehin schon für individuelle oder kollektive Rechte kämpfen: Für das Bleiberecht, für free movement oder bessere Löhne, für das Wahlrecht, gegen Abschiebung, für Greencards für SexarbeiterInnen, für Selbstverteidigung oder gegen die Ausbeutung innerhalb und außerhalb der Communities. Seit einiger Zeit diskutieren wir deshalb zusammen mit migrantischen Gruppen, Flüchtlingsinitiativen, antirassistischen Netzwerken, Teilen der Gewerkschaften und vielen anderen, eine gemeinsame Offensive für das Recht auf Legalisierung. Wir erhoffen uns, dadurch möglichst viele Stränge, an denen MigrantInnen kämpfen, aufnehmen und miteinander verknüpfen zu können. Eine solche Bündelung könnte eine breite antirassistische Bewegung konstituieren, in der sich einzelne Politikfelder nicht einer großen Kampagne unterordnen müssen, sondern sich im Gegenteil jede Initiative auf die Mächtigkeit des gesamten antirassistischen Feldes berufen kann. In dieser offensiven Überwindung der Arbeitsteilung sind die Kämpfe der MigrantInnen, ihre Erfahrungen, Niederlagen und Erfolge, ihre unabhängigen Netzwerke und subversiven Praktiken und Überlebensstrategien der gemeinsame Referenzpunkt; kurz: Die relative Autonomie der Migration, d.h. der subjektive Faktor einer Einwanderung, die sich nicht vollständig von staatlicher Politik steuern lässt. Kommunismus Diese Autonomie der Migration wird im Kampf gegen die Festung Europa und für offene Grenzen, wie ihn viele deutsche Linke unter dem Motto no border seit einigen Jahren proklamieren, ausgeblendet. Wer offene Grenzen fordert, behauptet oft genug wie auch der BGS die hermetische Geschlossenheit der EU-Außengrenzen. Damit wird jedoch deren faktische Durchlässigkeit, d.h. die organisierte, erfolgreiche und tagtägliche Grenzüberschreitung von MigrantInnen verschleiert oder als Verzweiflungstaten beschrieben, mit denen je nach politischem Kontext entweder die Festung Europa oder die Schlepperbanden skandalisiert werden sollen. In dieser aktuell dominanten Fokussierung auf das rassistische Grenzregime kommen Kanaken meist nur als Leichen zwischen den Surfbrettern von Tarifa oder an den Ufern der Oder/Neiße vor oder sie müssen als Grußadressen hinter stacheldrahtbewehrten Lagern herhalten. Gewiss hat die Grenze die Funktion der Hierarchisierung, indem sie Pfade der Einwanderung zuweist, die oft Verelendung und Entrechtung mit sich bringen. Wer aber die sozialen Kämpfe jenseits und zwischen jeder beabsichtigten und vollführten staatlichen Reglementierung zum Bezugspunkt einer Politik macht, wird erkennen müssen, dass es migrantische Netzwerke gibt, die sich einen Dreck um diese Grenzen kümmern und sie organisiert überschreiten. Wer gegen Rassismus ist, den oder die sollte es doch inspirieren, dass dem Rassismus in unzähligen Momenten die Grundlage entzogen wird, und sich MigrantInnen längst faktisch die Rechte nehmen, die sie fordern. Er oder sie müsste zudem neugierig darauf sein, von diesen Praxen zu erfahren und sich mit den dahinter stehenden Menschen zu verbünden. Jeder Hinweis auf erfolgreiche subversive Praxen von MigrantInnen und jeder Versuch, ihre Situation durch die Gewährung einzelner Rechte zu verbessern, verhallt in diesem leeren Ensemble linker Szenen ungehört. Genau hier schrumpft der antietatistische Radikalismus zum heimlichen Staatsfreund, da mit dem Gang aufs Ganze eine Kritik an der staatlichen Migrationspolitik als Verbesserungsvorschlag fehl gedeutet wird. Zurück bleibt das linksdeutsche Bedürfnis nach Stubenreinheit und der Antirassismus verkommt zum Bekenntnis zur caritativen Selbstverwaltung. Wer jedoch, wie viele Kanaken, unterhalb der Klassenmobilität soziale und ökonomische Netzwerke schafft und jenseits von Staatsbürgerschaften Bürgerrechte fordert, stellt durch seine oder ihre bloße Anwesenheit mehr als nur das Migrationsregime in Frage. Auch wenn diese Netzwerke in keiner anderen Logik als der vorherrschenden funktionieren, wird eine staatlich-kapitalistische Vergesellschaftung implizit in Frage gestellt, ohne dass die politischen Subjekte die tradierten Kataloge der Herrschaftsformen durch deklinieren müssen. Eine Einsicht, die nicht nur der regulationstheoretisch geschulten Antiglobalisierungslinken gut stehen würde, die Migration ausschließlich als problematischen Effekt des Neoliberalismus versteht und sich damit implizit in einen rassistischen Widerspruch zur Autonomie der Migration begibt, statt in den weltweiten Migrationsströmen einen Ausdruck aktueller und kommender Kämpfe zu erkennen, mit denen es sich zu verbinden gilt. Eine Politik für das Recht auf Legalisierung wie wir sie verstehen, birgt die Möglichkeit einer antirassistischen Mobilisierung, die auch die Wohn- und Bildungsmisere, die verschiedenen Formen von Ausbeutung wie diskriminierende Arbeitsbedingungen und sexistische Geschlechterverhältnisse zur Sprache bringen kann. Diese Form der Mobilisierung taugt weniger zum Distinktionsgewinn, sondern zielt auf die Bildung einer breiten Bewegung und eröffnet Möglichkeiten der Politisierung von Alltagsverhältnissen für eine offensive Intervention, in der ganz unterschiedliche Menschen als Subjekte vorkommen können. Aber eines muss man bereit sein, in Kauf zu nehmen auch gegen die eigene Analyse dieser Welt: Dass sich die Dinge auch zum Besseren wenden können.
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