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Statement zur Legalisierungsoffensive vom Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin

Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin wurde 1996 gegründet mit antirassistischer, autonomer Ausrichtung als Teil eines UnterstützerInnennetzwerkes für MigrantInnen. Von Anfang an befanden wir uns in einem Widerspruch. Einerseits wollen wir mit unserer Arbeit die konkrete Lebenssituation von Menschen ohne Papiere in der BRD verbessern. Andererseits können wir angesichts des Umfangs nur symbolische Hilfe leisten und wollen vor allem die staatliche Gesundheitsversorgung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Die praktische Arbeit soll vielmehr als Ansatzpunkt dienen, das Recht auf medizinische Versorgung für alle öffentlich einzufordern. Dabei geraten wir oft in die Situation, trotz der formalgesetzlichen Kriminalisierung unserer Unterstützungsarbeit vom Staat als Feigenblatt missbraucht zu werden, indem dieser auf uns verweist, wenn bspw. die soziale Lage der durch ihn illegalisierten MigrantInnen angesprochen wird. Anstatt von sich aus die Versorgung dieser Menschen zu verbessern, bedienen sich also öffentliche Stellen des Büros für medizinische Flüchtlingshilfe, um sich ihrer Verantwortung zu entledigen.

Im Zusammenschluss der Legalisierungsoffensive sehen wir im Gegensatz zu früheren Ansätzen zu (Stichtag-) Legalisierungskampagnen die Möglichkeit, MigrantInnen in ihren offensiven, subjektiven, autonomen Forderungen zu stärken. Folgende Ziele sind unsere Bezugspunkte: die Abschaffung der ökonomischen Ausbeutung und Hierarchisierung der MigrantInnen im Arbeitsmarkt, die Beendigung der Entrechtung von MigrantInnen durch rassistische Sondergesetze und letztlich die Abschaffung der Illegalisierung. Von letzterer können alle hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass betroffen sein. Die Grenze zwischen illegal und legal ist fliessend. Die Missstände im medizinischen Bereich betreffen daher nicht nur Illegalisierte, sondern auch Menschen mit offiziellem Aufenthaltsstatus. Das Recht auf Legalisierung heisst für uns die Forderung nach sozialen und politischen Rechten unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Durch zielgerichtete Offensiven zu einzelnen Rechten soll langfristig eine vollständige GleichbeRECHTigung auf allen Ebenen durchgesetzt werden.

Die Inanspruchnahme des Medibüros sowie anderer Einrichtungen des UnterstützerInnennetzwerks durch MigrantInnen mit oder ohne Aufenthaltsstatus ist ein Hinweis auf die Autonomie der Migration - Rechte werden sich genommen durch Schaffung und Nutzung von Netzwerken und inoffiziellen Regelungen. Dies ist aber weit entfernt von dem geforderten Recht, Rechte zu haben.

Wir vermitteln jährlich an ca. 1000 MigrantInnen ohne geklärten Aufenthaltsstatus eine medizinische Versorgung. Wenn man aber von geschätzten 100000 in Berlin lebenden Illegalisierten ausgeht, ist dies gerade mal ein Tropfen auf den heissen Stein. Und selbst in den geleisteten Vermittlungen stossen wir ständig an die Grenzen der Umsetzbarkeit, die bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Die Bundesrepublik Deutschland verstösst mit ihrer Praxis gegen die von ihr 1973 unterzeichnete "Internationale UN- Konvention über ökonomische, soziale und kulturelle Rechte". Dort wird im Art. 12, Abs. 2 das Recht aller Menschen auf den höchsten in einem Land erreichbaren Gesundheitszustand formuliert. Das Vorenthalten adäquater medizinischer Versorgung durch den Staat aufgrund der Herkunft oder des Aufenthaltsstatus bedeutet das Absprechen dieses Rechts.

Der Zugang zu medizinischer Versorgung wird nach dem Grad der wirtschaftlichen Rentabilität der MigrantInnen u.a. nach § 120 BSHG (Bundessozialhilfegesetz) in "Berechtigte und eingeschränkt Berechtigte" (Arbeitsverbot für Asylsuchende; fehlender Anspruch auf Mitgliedschaft in GKV) geregelt. Medizinische Leistungen werden noch zusätzlich durch die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) auf das, was im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist“, reduziert. Diese Regelung ist von BehördenmitarbeiterInnen willkürlich dehnbar und führt in Berlin zur regelmässigen Verweigerung von Krankenscheinen. In den Debatten, die zu dieser Problematik geführt wurden, beschränkte sich die öffentliche Wahrnehmung bisher lediglich auf die Forderung nach der Abschaffung der Kriminalisierung der HelferInnen (§§ 92 und 76 StGB) und Behandlung nach dem BSHG, dem AsylbLG oder nach Finanzierung der medizinischen Versorgung durch einen sog. "Armutsfond".

Die Forderung nach Behandlung entsprechend dem AsylbLG (nur akute Erkrankungen oder Schmerzzustände) finden wir absolut inakzeptabel, da MigrantInnen der Willkür medizinisch nicht qualifizierter SachbearbeiterInnen ausgeliefert werden und unterschiedliche Ausführungsvorschriften in Bundesländern je nach politischer Stimmungslage vollzogen werden. Die anderen Forderungen werden von uns kritisiert, sofern sie nicht eine vollwertige medizinische Versorgung gewährleisten können. Dabei können sie im Einzelfall eine Verbesserung der konkreten Situation der Betroffenen bedeuten.

Staatliche Kontrolle und Umkehrung ärztlicher Ethik
Das Gesundheitssystems wird durch den Staat als Kontrollmechanismus benutzt. Es findet ein legitimierter Missbrauch ärztlicher Tätigkeit in der Abschiebemaschinerie statt. So werden z.B. durch medizinische Begutachtungen (Flugfähigkeitsgutachten) Abschiebungen ermöglicht. "Gefälligkeitsgutachten" werden durch den polizeiärztlichen Dienst geschrieben, professionelle psychiatrische Gutachten bspw. bei Traumatisierung oder Reiseunfähigkeitsgutachten infrage gestellt (nach § 53 Abs. 3 und § 54 AuslG " Duldung aus humanitären Gründen). Auch die Altersfeststellung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (Handwurzelknochenröntgen, Einstufung sekundärer Geschlechtsmerkmale etc.) zum Zwecke der Abschiebung an der Grenze zum 14. Lebensjahr findet durch medizinische HandlangerInnen für die staatlichen Stellen statt. Es wird regelmässig gegen die ärztliche Schweigepflicht und freie ĂrztInnenwahl bei Eintritt in das Asylverfahren nach § 62 AsylVfG Erstuntersuchung (übertragbare Erkrankungen, Röntgenuntersuchung, Befundmitteilung an Behörden) verstossen. Im Abschiebegewahrsam wird oft das Recht auf qualifizierte medizinische Hilfe abgesprochen. Dort sind lediglich PolizeiärztInnen zuständig, deren Unabhängigkeit fragwürdig und deren Versorgung oft unzureichend ist. "Einheitspillen", fehlende Sprachmittlung und Abschiebung im Hungerstreik sind an der Tagesordnung. Damit findet eine Umkehrung ärztlicher Ethik statt.

Deshalb gilt für uns nicht allein die Forderung nach bestmöglicher medizinischer Versorgung, sondern die Forderung nach Abschaffung der Illegalisierung und Abschaffung der Entrechtung von MigrantInnen.

medizinische-fluechtlingshilfe(AT)gmx.de