i n d e x  
text
 
 
Migration und Sexarbeit
Stellungnahme von HYDRA

Seit einem Jahr gilt in Deutschland ein neues Prostitutionsgesetz, von dem viele Menschen, die in der Sexindustrie arbeiten, profitieren. Obwohl wir anerkennen, dass es sich hierbei um einen ersten positiven Schritt handelt, erwarten wir, dass in einem zweiten Schritt die Situation der MigrantInnen die in der Prostitution tätig sind, berücksichtigt werden. Sie machen ca. 60% der in diesem Zweig Tätigen aus.

Jedoch unterliegen migrierte Prostituierte der Reglementierung und Kontrolle und werden kriminalisiert. Durch die ausländerrechtlichen Regelungen treffen insbesondere die Prostituierten aus Ländern ausserhalb der EU, die über die Hälfte der Sexarbeiterinnen in Deutschland ausmachen. Die Halblegalität oder Illegalität ihrer Erwerbstätigkeit drängt sie in Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse (nicht nur von Zuhältern). Vor allem die Bestimmungen des Ausländer- und Strafrechts führen zu unwürdigen Arbeitsbedingungen und verhindern arbeitsrechtliche Mindeststandards und somit selbstbestimmte Formen der Berufsausübung.

Illegalisiert hier zu arbeiten, heisst unter enormem Druck zu stehen, sich in ständiger Angst vor einer Polizeikontrolle bzw. Razzia zu befinden. Bei einer Polizeikontrolle werden Prostituierte häufig diskriminierend behandelt, alles wird durchsucht bis hin zur Leibesvisitation, das Geld wird beschlagnahmt, sie werden erkennungsdienstlich behandelt, es werden Fotos gemacht und oft werden keine DolmetscherInnen zur Verfügung gestellt. Anschließend werden die Frauen ausgewiesen oder abgeschoben. Bestehen noch unbezahlte Schulden durch die hohe Vermittlungsgebühr, ist dieses besonders dramatisch.

Die fehlende legale Grundlage für die Arbeitsmigration und die gleichzeitige Nachfrage nach Arbeitskräften in der Prostitution, schaffen jedoch einen eklatanten Widerspruch zwischen offizieller Politik der Zielländer und tagtäglicher Praxis. Gerade der halblegale Charakter dieser Tätigkeit, in Verbindung mit dem Fehlen jeglicher arbeitsrechtlicher Standards, schafft ausbeuterische Arbeitsbedingungen.

Repressive Strategien, wie die verstärkte Beschränkung der Migration und strengere ausländerrechtliche und strafrechtliche Verfolgung, sind politisch und sozial kurzsichtig, d.h., sie wirken sich negativ aus und bieten keine dauerhaften Lösungen. Zugleich scheinen diese repressiven Massnahmen für den Staat am verlockendsten, obgleich sie offensichtlich kontraproduktiv für die gesüundheitlichen, rechtlichen sowie sozialen Anliegen der migrierten Sexarbeiterinnen sind.

Es wird versucht, die Diskussion auf den Frauenhandel zu lenken. Dadurch wird die Diskussion um Migration, Prostitution und Menschenhandel undifferenziert vermischt. Dies liegt im Interesse der deutschen und europäischen Polizei- und Grenzbehörden, da so die Kontrollen und die Razzien legitimiert und die Abschiebungen beschleunigt werden können.

Hilfreich können nur solche Strategien sein, in deren Zentrum die Stärkung der Rechte der betroffenen Frauen als Arbeitsmigrantinnen und Prostituierte steht. Dafür ist es üotwendig, ihre Belange und Interessen zu berücksichtigen. Die Unterstützungsstrategien sollten sich auf die Stärkung der Selbstbestimmung der Frauen in allen Stadien der Migration konzentrieren. Man sollte in diese Richtung wirken und alles dafür tun, dass die Frauen die Kontrolle über ihr Leben behalten.

Forderungen

Die AG Migrantinnen in der Sexarbeit ruft alle Organisationen, die mit in der Sexindustrie beschäftigten Migrantinnen arbeiten, dazu auf, die Forderung nach Legalisierung der migrierten Prostituierten zu unterstützen und verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, damit Wege geschaffen werden, die es den migrierte Frauen erlauben, ihre sozialen und Arbeitsrechte zu garantieren.

- Für diejenigen, die hier schon leben und arbeiten, fordern wir eine Amnestieregelung, die migrierten Sexarbeiterinnen erlaubt, ihre Situation im Lande zu legalisieren

- Für diejenigen, die nach Deutschland kommen wollen, um in der Sexindustrie zu arbeiten, fordern wir ein entsprechendes Arbeits- und Aufenthaltsrecht

- Die Verweigerung allgemeiner Rechte verhindert eine angemessene soziale und gesundheitliche Versorgung für migrierte Sexarbeiterinnen, daher empfehlen wir einen freien Zugang zu allen Versorgungsangeboten.

- Über je mehr Rechte die Frauen verfügen, desto weniger sind sie von anderen abhängig und desto schwieriger wird es, sie auszubeuten und zu erpressen

- Bekämpfung des Frauenhandels darf nicht zu einer Bekämpfung der Prostitution führen

Aufgrund dieser Massnahmen, könnten die Frauen sich versichern und gegebenenfalls Anzeige gegen VermittlerInnen, BordellbetreiberInnen und gewalttätige Kunden oder ArbeitgeberInnen erstatten - ohne Angst vor Ausweisungen haben zu müssen. Sie wären unabhängiger und somit weniger erpressbar. Die Strukturen und Wege wären sichtbarer, da sie aus der Grauzone herausgeholt würden und könnten damit auch für die Frauen sicherer werden.

April 2003