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border clash - festung europa, polysemie des grenzregimes, autonomie der migration Manuela Bojadzijev, Vassilis Tsianos (Kanak Attak) Politische Slogans machen zuweilen merkwürdige Karrieren in Almanya. Während die skurrile Metapher 'Festung Europa' schon längst jeden Resthauch an linksradikalen Konnotationen verloren hat und zur selbstverständlichen migrationspolitischen Vulgata sogar konservativer Politiker avanciert ist, fristete der genealogisch betrachtet verwandte Slogan Offene Grenzen für alle ein weitaus weniger glamouröses Dasein. Die Zielrichtung der Forderung nach 'Offenen Grenzen', die noch bis vor kurzem sogar im Parteiprogramm der Grünen an prominentester Stelle zu lesen war, artikulierte sich sukzessiv schon Mitte der achtziger Jahre unter der Parole "Für freies Fluten". Auslöser einer breiten Diskussion war die Empörung über den Tod von Cemal Altun im September 1983. Cemal flüchtete in den Tod, indem er sich aus dem Fenster einer deutschen Behörde stürzte, bevor diese ihn im Geiste bester antikommunistischer Solidarität an die Henker des türkischen Regimes ausliefern konnte. Die im Anschluss an dieses Ereignis formulierte Forderung nach 'Offenen Grenzen' wurde jedoch erstaunlicherweise weniger vom Standpunkt der emphatischen Identifizierung mit dem Symptom des Ausschlusses (Zizek) deklariert, das heißt der 'subjektiven' Reproduktionsinteressen des nackten (Über-) Lebens der MigrantInnen, sondern aus der antiimperialistisch bzw. internationalistisch hergeleiteten 'objektiven' Analyse des Ausbeutungsverhältnisses von Metropole und Trikont begründet. Das ist nicht nur als eine Provokation zu verstehen. In der Debatte um das Asylrecht und den Flüchtlingsbegriff, wie sie in den neunziger Jahren in Deutschland geführt wurde, setzte das Eintreten für das 'Bleiberecht für alle' und 'Offene Grenzen' einen radikalen Kontrapunkt zum Mainstream - zur Re-Nationalisierung der Diskurse auch innerhalb der Linken und zum Aufbau eines paneuropäischen restriktiven Migrations- und Grenzregimes. Das Vorrecht der Metropolen und ihrer Bürger gegenüber dem 'Rest' und den von dort einwandernden Menschen wurde radikal in Frage gestellt. Auf diese Weise konnte jedenfalls ansatzweise eine Diskussion um Struktur und Legitimation der herrschenden weltweiten Ausbeutungsverhältnisse initiiert werden, die allerdings das Schweigen über die eigene rassistische Verstrickung nicht zu Verdrängen in der Lage war. Als Anfang der neunziger Jahre die Zunahme rassistischer Übergriffe und nationalistischer Stimmung in Deutschland langsam zur Stärkung der antirassistischen Politszene beitrugen, war dies zugleich die Geburtsstunde einer defensiven Arbeitsteilung mit allen obskuren Nebeneffekten, wie etwa der Tabuisierung der identitätspolitischen Disposition der deutschen Linken. Mit der de facto Abschaffung des Asylgesetzes 1993 haben sich die Verhältnisse verändert: Die Definitionsmacht darüber, wer als Flüchtling zu gelten hat und wer nicht, eroberte sich der Staat vollständig zurück. Mit dem Ende des zeit- bzw. vergleichsweise liberal gehandhabten Asylrechts endet auch seine zentrale Bedeutung für die Migrationsprozesse und die MigrantInnen. Die Mobilisierung der Linken und der liberalen Öffentlichkeit hatte auf die Verteidigung des Asylrechts gezielt. In Kombination mit der Devise "Offene Grenzen für alle" tat sich eine Schere zwischen der Radikalität einer Forderung und der faktischen Defensivität einer Politik auf, was sich auf diese Weise nicht in den Alltag hinein realisieren ließ. Insofern überlebte der Slogan 'Offene Grenzen' die Verhältnisse, auf die er sich konfrontativ bezog. Seine Karriere als normativer Gradmesser linksradikaler politischer Korrektheit, als Residuum einer imaginären Radikalopposition, sicherte fortan ein Verhältnis der unbefleckten Äußerlichkeit gegenüber der Macht, die er anzugreifen versuchte. Öffentliche Kampagnen für das 'Bleiberecht' hatten seither höchstens im Zusammenhang mit Abschiebewellen in besonders üble Herkunftsländer eine gewisse Wirkung - mit geringem Erfolg bisher. Der Zuschnitt auf die globale Perspektive ließ Migration vor allem als Zwang begreifen, sah MigrantInnen als Opfer der Globalisierung und überbetonte im Zusammenspiel mit der 'Festungs-Metapher' die neototalitaristische Abschottung der Grenzen Europas.
Polysemie des Grenzregimes Das Zuwanderungsgesetz erkennt also in ganz spezifischer Weise die relative Autonomie der Migration an, wie an dem Versuch einer umfassenden Zuwanderungssteuerung abzulesen ist. Es scheint als hätten die konziptiven Ideologen des Abschiebeapparats dafür akribisch alle Punkte aufgelistet, die MigrantInnen bis jetzt als Schlupflöcher nutzten und die eine relative Autonomie der Migration gegenüber der staatlichen Politik ausdrückte. So bedeutet die Abschaffung des Duldungstitels, wie in dem Einwanderungsgesetz vorgesehen, für 250.000 - darunter nicht nur abgelehnte Asylsuchende - nichts anderes als Illegalisierung. Die noch von der Süssmuth-Kommission empfohlene Legalisierungsregelung, die sich auf etwa 1,7 Millionen MigrantInnen bezogen hätte, fällt weg. Vgl. Manuela Bojad?ijev, Tobias Mulot, Vassilis Tsianos, Legalisierung statt Integration. Anmerkungen zum Zuwanderungsgesetz, in: 1999, 01/2002 Was Moulier Boutang als "schwer zu kapieren" bezeichnet hat, wird nun erstmals im Regierungswissen etabliert und in Führungstechnik übersetzt. Diese staatliche Politik begibt sich mit dem Versuch der Verrechtlichung und Steuerung der Migration auf ein für sie ungewisses Terrain: Sie greift in das instabile Gleichgewicht von Gleichheit und Freiheit innerhalb der nationalen Gemeinschaft ein, in die Trennung von Volk und Nation. Während im deutschen Gesetzentwurf zur Zuwanderung auf Basis des Integrationsimperativs die Ausschlussbarriere des nationalbildenden Staatsvolkes weiterhin aufrechterhalten wird, zeichnet sich auf europäischer Ebene eine Tendenz ab, Staatsbürgerschaft von diesen hergebrachten Konzepten abzukoppeln. Das Projekt des europäischen Zusammenschlusses, der eigentlich einem Einschluss gleichkommt, verbindet Mittel der präventiven Aufstandsbekämpfung an den Rändern des Migrationsregimes - also an den Grenzen, die inzwischen Europa nicht nur umfassen, sondern auch durchziehen - mit einem Prozess der rassistischen Stratifikation im Inneren. Vgl. Etienne Balibar, Topographie der Grausamkeit. Staatsbürgerschaft und Menschenrechte im Zeitalter globaler Gewaltverhältnisse, in: Subtropen, 12/2001 Die Feststellung, dass die Autonomie der Migration bzw. ihre Geschichte in die gegenwärtige Konjunktur eingeschrieben ist, bedeutet auch, dass die Kämpfe auch dort 'anwesend' sind, wo sich ihre Niederlagen manifestiert haben: in den Ausländer- und Staatsbürgerschaftsgesetzen, im Zuwanderungsgesetz, aber auch in den widerständigen Alltagspraktiken der MigrantInnen. Die neuen Widersprüche sind absehbar. Es wird weiterhin Einwanderung geben, die sich der Steuerung entzieht. Insofern birgt die Durchsetzung der Verrechtlichung der relativen Autonomie der Migration mit dem Ziel gesteigerter nationalstaatlicher Kontrolle, wie sie jetzt in dem Zuwanderungsgesetz vorgesehen ist, politischen Sprengstoff. Denn das Zuwanderungsgesetz ignoriert jene Einwanderung und jene Grenzüberschreitungen, die nur unter der Bedingung der Kriminalisierung und Illegalisierung stattfindet und in Zukunft einer der wichtigsten Migrationswege nach Deutschland bzw. nach Europa bilden wird.
Recht auf Legalisierung Die Grenze hat die Funktion der Hierarchisierung, wo sie Pfade der Einwanderung zuweist, die sowohl Verelendung als auch Entrechtung bedeuten. Insofern geht es angesichts dieser Veränderungen vor allem um die Frage nach Kollektivrechten für Einwanderer. Kollektivrechte können zur Vervielfältigung der Freiheiten von Subjekten beitragen, deren kollektive widerständige Praxis ohnehin die systematische Vereinzelung durch die verallgemeinerte Struktur der Ausschließung untergraben. Betont man in diesem Zusammenhang nicht so sehr den Abschottungscharakter der Grenzen, sondern die relative Autonomie der Migration, lassen sich die illegalisierten Migrationspfade und Aufenthaltspraktiken als solche Modalitäten widerständiger Praxis verstehen. Wichtig ist dabei, die vorhandenen und entstehenden Solidaritätszusammenhänge wahrzunehmen, die eine Existenz als Sans Papiers erst ermöglichen. Das heißt zu verstehen, dass Migration nie die Aktion eines isolierten Individuums ist, sondern auf soziale Netzwerke zurückgreifen muss, um aus einem individuellen Vorhaben ein erfolgreiches Projekt zu machen. Vgl. Moulier Boutang, Nicht länger Reservearmee, in: Subtropen, 04/2002 Aber nicht nur das: Diese Netzwerkstrukturen helfen auch die Lebensbedingungen zu verbessern, indem sie auf dem informellen Markt für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen sorgen, Wohnungen vermitteln, etc. - zumindest für jene, die darin organisiert sind. Geht es also um die Frage, wie eine solche relative Autonomie der Migration ins Politische übersetzt werden könnte, sollte ein Recht auf Legalisierung der hier lebenden MigrantInnen ohne Papiere und eine Politik, die politische und soziale Rechte unabhängig von jeder Staatsbürgerschaft einfordert, realisiert werden. Denn prinzipiell ist es für jede Person ohne deutsche Staatsbürgerschaft möglich, den Aufenthaltstitel zu verlieren und somit illegalisiert zu werden - sei es wegen Erhalt von Sozialhilfe oder einer Straftat. Die Leistungsdispositive, die MigrantInnen nur nach ihrer Arbeitskraft be- und verwertet und die die Diskussion um Einwanderung zur Zeit bestimmen, könnten eine solche Politik für ein Recht auf Einwanderung untergraben. Eine mögliche Politik für das Recht auf Legalisierung birgt darüber hinaus die Möglichkeit, antirassistische Arbeit nicht auf Fragen von Rassismus zu begrenzen, sondern sie kann Wohnverhältnisse, Bildungsmisere, Ausbeutung, Arbeitsbedingungen und Geschlechterverhältnisse zur Sprache zu bringen und wäre womöglich endlich in der Lage, die Hierarchisierung von MigrantInnengruppen durch das Ausländergesetz und das Grenzregime in Frage zu stellen, d.h. ganz einfach: Den unterschiedlichen Existenzweisen von MigrantInnen, ihrem und unserem Alltag und Widerstand zu entsprechen. Manuela Bojadzijev, Vassilis Tsianos
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