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Recht auf Legalisierung
Statement des FrauenLesben-Bündnisses "Papiere für alle"

Für MigrantInnen ohne Papiere sind Netzwerke und die Solidarität anderer von größter Wichtigkeit. Jobs, Wohnmöglichkeiten, Beratungsangebote, medizinische Versorgung etc. werden häufig innerhalb einer Community von Sans Papiers weitergegeben. Auf dem informellen Markt können so Lohn- und Arbeitsbedingungen verbessert werden (1), medizinische Versorgung vermittelt, und Wohnungen organisiert werden. Das FrauenLesben-Bündnis "Papiere für Alle" bildet ein Netz, in dem Frauen mit und ohne Aufenthaltstatus zusammenarbeiten, um konkret die Lebenssituation von Frauen ohne Papiere zu erleichtern, indem verschiedene Bereiche des Alltags, wie bezahlte Wohnungen, Jobs, Kita- und Schulplätze organisiert werden. Unsere Arbeit basiert auf dem Selbstverständnis, bestehende Privilegien umzuverteilen. Die Praxis dieser Arbeit schafft Erleichterung in innerhalb der Sorgen um die Basisbedürfnisse. Beständig und zwangsläufig richtet sich unser Fokus dabei auf die Ursachen der Verhältnisse, die ein solches Netzwerk wie unseres erst notwendig macht:

Was heißt eigentlich "Illegal"?

In die Illegalität werden fast alle MigrantInnen gedrängt, die weder Asyl geltend machen können, keine Chance auf eine Greencard haben, noch durch Familienzusammenführung einen Aufenthaltstitel erhalten können. StudentInnen bleiben auch nach dem Studium hier, Pflegekräfte suchen sich nach Kündigung ihres Arbeitgebers einen neuen Job, eine Ehe mit einem/einer Deutschen hält nicht lange genug um eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, Kinder, deren Mütter mit Deutschen verheiratet sind, werden 16 Jahre alt und sind somit nach deutschem Ausländergesetz nicht mehr berechtigt, mit ihr zu leben. Die Grenze vom legalen zum "illegalen" Aufenthalt ist fließend und schnell überschritten. Trotz des eng gesteckten Rahmens der Möglichkeiten, einen dokumentierten Aufenthaltstitel zu erlangen, findet selbstverständlich Migration statt. Das heißt unabhängig davon, wie gering die Chance auf ein Bleiberecht ist, werden immer neue Wege gefunden, sich hier ein Leben zu organisieren.

Illegalisierung wirkt in allen Lebensbereichen

Das Leben ohne Aufenthaltsstatus erfordert ein Höchstmass an Organisationstalent und Selbstbeherrschung. Denn jeder Schritt im falschen Moment kann zu einer Entdeckung führen. Wie viele Ärzte behandeln Menschen ohne Krankenschein? Jedes Loch im Zahn wird zum Problem. Aus dem Kreislauf der schlecht bezahlten Jobs und den damit verbundenen schlechten Lebensbedingungen gibt es kaum einen Ausweg, da jegliche Möglichkeit auf Bildung/Weiterbildung an gültige Aufenthaltspapiere gekoppelt ist. Sogar der an sich obligatorische Schulbesuch für Kinder ist für Kinder von MigrantInnen ohne Status nicht vorgesehen. Berufliche Abschlüsse aus Ländern außerhalb der EU werden nicht anerkannt, und selbst wenn dies der Fall wäre, ist eine Arbeit im Hochlohnsektor nicht ohne legalisierten Aufenthaltsstatus möglich. Daher sind die meisten gezwungen Arbeiten anzunehmen, für die sie völlig überqualifiziert sind, und die zudem von deutschen ArbeitnehmerInnen verschmäht werden. So machen viele Frauen schlecht bezahlte "Putz-Jobs", wobei ArbeitgeberInnen offensichtlich gerne "Illegale" anstellen, die nicht so viel Lohn fordern können und vermeintlich rechtlich auch keine Möglichkeit haben, diesen bei Lohnraub einzufordern. An diese irregulären Jobs ist die fehlende Möglichkeit geknüpft, sich in irgendeiner Form zu versichern. Bei Kündigung besteht (trotz jahrelanger regelmäßiger Arbeit) kein Recht auf Arbeitslosengeld.

Unsichtbare Sichbarkeit

Neben der direkten Solidarität durch migrantische Netzwerke, Comunities, UnterstützerInnen sind jedoch noch etliche Menschen in die Aufrechterhaltung des status quo eingebunden. Die Illegalisierung schafft Parallelwelten, in denen Arbeit und Wohnung organisiert werden müssen, fernab von den üblichen gesellschaftlichen Vereinbarungen. So beteiligen sich ArbeitgeberInnen und VermieterInnen zum Teil recht gerne an der ?Illegalität?, denn sie wissen um den Status der Rechtlosigkeit ihrer MieterInnen und ArbeitnehmerInnen. Nicht wenige profitieren davon und so entstehen z.B. horrende Mieten, Dumpinglöhne bzw. Lohnraub und (vom BGS ausgesetzte) Prämien für Denunziation. Das Wissen und Ausnutzen der Situation existiert also in allen gesellschaftlichen Bereichen. In der Illegalisierung greifen Mechanismen der Ausbeutung und Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Von staatlicher Seite wird der gesetzliche Rahmen bereitgestellt, in dem Kapitalismus in seiner Reinform funktionieren kann. Ohne soziale Rechte und Gewerkschaften, auf die man sich stützen kann. Deshalb ist für das Bündnis der Aspekt des Öffentlichmachens der Lebenssituation in der Illegalität wichtig und zunehmend Bestandteil unserer Politik. Unser Schwerpunkt liegt auf der Forderung nach Rechten, statt nach Papieren. Denn auch AsylbewerberInnen haben kein Recht auf freie Arztwahl, keine Bewegungsfreiheit, kein Recht zu Arbeiten, etc. Auch gültige Aufenthalts-papiere bieten keinen Schutz vor rassistischen Kontrollen. Gerade deshalb ist es notwendig sich mit einer breit angelegten Offensive für Legalisierung einzusetzen, die neben der Verbesserung der Lebensverhältnisse immer auch den Kampf gegen die Kriminalisierung von Migration und die ökonomische Ausbeutung von MigrantInnen thematisiert. Eine punktuelle Regularisierung (2) kann langfristig nichts ändern. Wir fordern daher mindestens eine Gleichstellung aller hier Lebenden in allen Bereichen. Dass so dies auch unabhängig vom Aufenthaltstatus geschehen kann, zeigt ein Gesetzesentwurf der letzten sozialistischen Regierung in Spanien, der vorsah, elementare soziale und politische Rechte (3) zu garantieren. Durch den Regierungswechsel trat dieses Gesetz nie in Kraft.

Erfahrung aus EU-Ländern

Aus der Erfahrung und der Analyse der Regularisierungs- bzw. Legaliserungskampagnen in anderen EU-Ländern hat sich gezeigt, daß diese meist von Seiten der jeweiligen Regierung von der Absicht geleitet waren, die Einwanderung zu kanalisieren, die Proteste zu beruhigen und Erkenntnisse über Strukturen der Selbstorganisierung zu erhalten. Der Erhalt gültiger Papiere war abhängig von Stichtagsregelungen und Arbeitsnachweisen, die erbracht werden mussten. Diese Kampagnen wurden in fast allen Ländern von Protesten und Kämpfen begleitet, und verschafften einigen zumindest zeitweise einen gültigen Aufenthalt. In der BRD hat es eine Regularisierung von staatlicher Seite bisher nur partiell gegeben. Bei Bedarf wurde (teilweise nur regional) einigen ArbeitnehmerInnen bestimmter Branchen ein zeitlich begrenztes Aufenthaltsrecht eingeräumt. Eine Anerkennung der Tatsache, dass in diesem Land über eine Million Menschen Leben, deren Aufenthalt nicht staatlich legitimiert ist, hat es bisher noch nie gegeben. Es ist daher mehr als notwendig eine Generalamnestie für alle zu erkämpfen.

Sichtbarkeit herstellen

Seit dem letzten Sommer haben wir mit mehreren Veranstaltungen begonnen, uns mit anderen Gruppen, Kanak Attak, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen zu vernetzen, und für eine Kampagne ?Recht auf Legalisierung? zu mobilisieren. Es gab Radiointerviews und Gespräche mit VertreterInnen von VERDI, eine Postkartenaktion, der weitere folgen sollen. Kurz vor der letzten Bundestagswahl fand die Ausstellung der "mujeres sin rostro" (Frauen ohne Gesicht), als Beitrag zur Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Berlin statt: In selbsthergestellten Wandbildern (apuilleras) berichteten Frauen über ihre Situation als "Illegalisierte" und die damit verbundene Repression. Als einen Ausweg aus ihrer Situation fordert die Gruppe die Legalisierung. Wir werden uns an der von Kanak Attak begonnenen Offensive ?Recht auf Legalisierung? beteiligen, da wir denken, dass in einem solchen Rahmen viele Kämpfe zusammenlaufen können. Ganz konkret stellen wir uns ein breites Bündnis vor, das sowohl migrantische Selbstorganisierungen, antirassistische Gruppen, Gewerkschaften, als auch Basisinitiativen, die primär gar nichts mit Migration zu tun haben, aber ebenfalls mit ähnlichen Problemen der Entrechtung zu kämpfen haben, wie z.B. Obdachlosengruppen, miteinschliesst. Ein solches Bündnis gab es in Frankreich, wo sich die Bewegung der "sans papiers" mit Obdachlosen-Initiativen zum Bündnis der "sans" zusammengeschlossen hatte. Wir stellen uns zielgerichtete Kampagnen zu einzelnen Rechten vor, die jedoch immer auch betonen, dass es darum geht, eine vollständige Gleichstellung auf allen Ebenen zu erreichen. Der Auftakt zur Legalisierungsoffensive wird im Herbst sein. Kanak Attak organisiert eine bundesweite Tour durch verschiedene deutsche Großstädte, in der mittels Konzerten und Aktionen die Forderung ?Recht auf Legalisierung? in die Öffentlichkeit gebracht wird. Wir werden in Berlin mit dem Schwerpunkt Arbeit/Gewerkschaften an dieser Tour teilnehmen.

Für eine komplette Gleichstellung aller Menschen, die hier leben.

Berlin, Juni 2003

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Anmerkungen:
(1) In Berlin drohte beispielsweise eine Gruppe ArbeitnehmerInnen ohne Aufenthaltsstatus, die in der Gastronomie tätig waren einem Arbeitgeber mit Streik, weil dieser mit dem Kalkül der Rechtlosigkeit seiner Angestellten mehrmals keinen Lohn zahlte. Sie hatten Erfolg. Solche Drohungen unterlegt mit einer möglichen Imagebeschmutzungskampagne führten mehrmals zum Einlenken der ArbeitgeberInnen.
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(2) Regularisierung meint die einmalige Vergabe von Bleiberechten an diejenige Gruppe von "Illegalisierten", die sich in irgendeiner Form als nützlich für die Gesellschaft erweisen. In vielen EU-Ländern war eine solche staatliche Initiative an den Nachweis von bestehenden Arbeitsverhältnissen gekoppelt. Der legale Status kann bei Arbeitsverlust nach einer bestimmten Frist wieder entzogen werden.
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(3) Unabhängig vom Status sollten folgende Rechte gewährt werden: Garantie des lokalen Wahlrechtes für alle volljährigen AusländerInnen, Garantie des Rechtes auf Bildung für alle unter 18-jährigen, einschließlich des Rechtes auf Universitätsbesuch und den Bezug staatlicher Stipendien, Anspruch auf soziale Fürsorge und die Grundleistungen der Sozialversicherung, Garantie politischer Rechte, wie Streikrecht, Demonstrationsrecht und Vereinigungsfreiheit, Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts, Garantie eingeschränkter medizinischer Versorgung für "Sin Papeles", Garantie vollständiger medizinischer Versorgung für Illegalisierte unter 18 Jahren und Schwangere.
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